Dienstag, 22. April 2014

Butchers and Bicycles Mk1


Ein Fahrrad hat zwei Räder. Punkt. Spätestens, nachdem man die Stützräder abmontiert hat, stimmt diese Aussage. Jahre später jedoch, wenn man aufs Lastenrad gekommen ist, kann sich das ändern. Aus Kopenhagen kommt seit Anfang diesen Jahres ein wirklich guter Grund dafür.

Zu Gast in Münster: das Butchers and Bicycles Mk1

Vor knapp zwei Jahren habe ich im Artikel "Das dritte Rad" über meine Vorliebe zu Zweirädern geschrieben. Direkt im ersten Absatz gibt es eine Aufzählung der Nachteile eines Dreirades. Doch nicht erst nach einem Sturz mit unserem Urban Arrow auf eisglattem Untergrund ist es an der Zeit, auch mal die Vorteile von Dreirädern zu betrachten.

Wir haben uns im letzten Herbst ein Bellabike zugelegt, ganz einfach weil wir 365 Tage im Jahr ausschließlich auf Fahrräder zurückgreifen und schließlich nicht jeder Winter ein derartiger Totalausfall sein kann, wie der letzte. Für das Bellabike sprachen seine unschlagbare Wendigkeit und das große Platzangebot in der Transportkiste.

Mit einem Dreirad fällt man nicht um

Mit einem Dreirad fällt man nicht um. Was zunächst einleuchtend klingt, überlegt man sich spätestens in der ersten Kurve noch mal von vorne, wozu mir einst Wytze von Urban Arrow in einer Twitter-Diskussion den großartigen Clip ans Herz legte, den man hier im Ausschnitt sieht, und mich ganz nebenbei zum Top Gear Fan machte. In "Rolling a Reliant Robin" bekommt man mehr als ein Mal zu sehen, was die Fliehkräfte mit einem dreirädrigen Gefährt anstellen können.

Im Gegensatz zum gewöhnlichen Lastendreirad (und zum Reliant Robin) schmiegt sich das Mk1 (sprich: Mark One) dank ausgefeilter Neigetechnik in die Kurve.

Unbekannter Testfahrer auf dem Bakfietstreffen in Nijmegen
Dabei soll es sich anfühlen wie ein gewöhnliches Zweirad, dafür haben seine Schöpfer drei Jahre lang getüftelt und insbesondere immer wieder an der Feinabstimmung der Lenkung gearbeitet. Denn schon bei einer normalen Achsschenkellenkung fahren das kurveninnere und äußere Rad unterschiedliche Radien, neigen sich die Räder dazu noch, wird die Abstimmung noch komplizierter.

Und fühlt es sich an wie ein Zweirad? Es fühlt sich an wie ein Zweirad.

Sagen wir, das tut es fast immer. Es gibt Momente, in denen man spürt, dass man nicht auf einem Zweirad sitzt. Zum Beispiel dann, wenn man so langsam um eine Kurve fährt, dass man im Normalfall einen Fuß von der Pedale auf den Boden nehmen würde, während man hier an das mechanische Ende der Neigung kommt und verwundert feststellt, dass man auch ohne Fuß am Boden gar nicht umkippt.

Grundsätzlich ist es überhaupt keine gute Idee, beim Fahrrad fahren die Augen zu schließen. Ich habe es mal gemacht, als ich auf einem Tandem hinten saß, und schon das fühlte sich gruselig an. Dennoch habe ich auf freier Strecke im Park mal kurz auf Augenkontakt zur Umwelt verzichtet, nur um meine übrigen Sinne nach der Anzahl der Räder zu fragen. "Zwei", riefen die Sinne, insbesondere mein Vestibularorgan (Fünf Mark in die Fremdwortkasse).


In Nijmegen bin ich Morten und Jakob ein paar Meter mit montierter GoPro hinterher gefahren. Ohne es zu wissen, haben die beiden ein kleines Demo-Video gedreht.

Wir stellen fest: die Hauptaufgabe ist gemeistert. Wir haben ein Lastendreirad, das sich so angenehm fährt wie ein Zweirad. Und wie sieht der Rest aus? Beeindruckend.

Solide Kurvenlage, besser festhalten, findet Julius. Fahrtwind!


Die Basisversion des Rades bringt dank Aluminiumrahmen nur 32 Kilo auf die Waage. Das ist sehr wenig für ein Dreirad, das Bakfiets.nl oder das Gazelle Cabby wiegen beide mehr, trotz eines Rades weniger.

Das Mk1 kommt in zwei Versionen daher, einmal für Kinder- und einmal für Gütertransport, wobei es in letzterer Variante den Beinamen "Pro" führt. Beide gibt es wahlweise mit oder ohne elektrische Unterstützung.

Stauraum wie in einem Kleinwagen: das Mk1 Pro im Car Sharing Pool der autofreien Siedlung


Beim Pro finden wir unter einem abschließbaren Deckel rund 220 Liter Stauraum, was in etwa denen kleinerer Autos wie dem Ford Ka oder dem VW Up! entspricht. Dazu bietet der Hersteller an, den Innenraum nach Kundenwunsch zu gestalten, zum Beispiel in Fächer zu unterteilen, zu polstern, oder was das zu transportierende Gut dem Rad sonst abverlangen könnte.

Bei der Kinderkutsche gibt es zahlreiche Details, bei denen man sich schnell fragt, warum das eigentlich beim eigenen (Lasten-)Rad fehlt. Da wäre ein Getränkehalter direkt vor dem Lenker. Ein abschließbares Handschuhfach hinter der Rückenlehne der Kinder (in dem sich ggf. auch die Batterie verbirgt). Eine Tür zum Ein- und Aussteigen in der Front. Anti-Rutschbeschichtung auf dem Fußboden, dazwischen Rinnen, durch die Wasser ablaufen kann. Ein Dach, damit gar nicht erst Wasser in die Transportbox gerät - aus einem Stoff, der normalerweise auf Segelbooten zum Einsatz kommt und auf dessen Dichtigkeit und Farbe 10 Jahre Garantie gegeben werden. Eine gepolsterte Sitzbank mit Dreipunktgurten für zwei Kinder. Eine Iso-Fix-Halterung um jeden darauf passenden Autositz zu verwenden.

Details: zum Parken bitten den Fuß auf den Hebel setzen:
Die Federn in der Mechanik können der Art der Nutzung angepasst werden.


Besonders clever: der Ständer. Wie viele Räder, die vorn viel Überhang haben, könnte auch das Mk1 bei grob einseitiger Belastung nach vorne kippen. Um dieses zu vermeiden, gibt es einen Zweibeinständer vorn. Um diesen auszuklappen, muss man jedoch nicht um das Rad herumgehen, durch eine Stange ist der Ständer mit einem Hebel vor den Füßen des Fahrers verbunden, auf den man einfach seinen Fuß setzt und das Rad rückwärts in den sicheren Stand zieht.

Geschaltet wird bei allen Varianten über die im Hause Bakfietsblog schon lieb gewonnene, stufenlose NuVinci Nabe. Schlicht die beste Wahl bei einem Pedelec, und auch ohne Unterstützung eine gute Wahl.

Darüber hinaus (Vorsicht, persönlicher Geschmack!) sieht es umwerfend gut aus.

Umwerfendes Design, das sich nur schwer umwerfen lässt. (Fünf Mark in die schlechte Wortspiel-Kasse)

Die Pedelec Variante verwendet einen Motor von MPF, der peinlich genau auf 25km/h abgeriegelt ist - das ist Vorschrift, nur war ich das vom "laissez-faire" Daum Motor im Urban Arrow nicht gewohnt - und kraftvoll Schub gibt. Sehr kraftvoll. Zum "Hui!" rufen kraftvoll. Wer möchte, kann das Pedelec dann noch mit einem Gates Carbon Drive aufwerten.

Die Jungs von Butchers and Bicycles hatten uns auf dem Rückweg vom Bakfietstreffen in Nijmegen in Münster besucht, meine Frau, Michael von 123rad und ich hatten reichlich Gelegenheit, die Räder auszuprobieren.

Und das Ergebnis? Ich träume von einem weiteren Lastenrad. Auch wenn es eigentlich nur für zwei Kinder Platz bietet und wir doch drei Kinder haben. Auch wenn wir eigentlich schon zwei Lastenräder vor der Tür stehen haben.

Das Rad gefiel uns allen großartig, man spürt, wie viel Arbeit in die vielen Details gesteckt wurde und es macht einfach Lust, zu fahren. Ich hoffe, das Butchers and Bicycles Mk1 und ich begegnen einander irgendwann noch mal. Ach ja, und seine drei "Väter" auch. Nette Jungs, der Besuch hat uns viel Freude gemacht. Bis zum nächsten Mal!