Montag, 23. September 2019

Svajerlobet - meine Reise zum Lastenradrennen in Kopenhagen

Urlaub in Travemünde. Hier haben wir seit Pfingsten 2018 einen festen Wohnwagen stehen - was auch für uns selbst überraschend kam. Eigentlich hatten wir nur einen Stellplatz in Augenschein nehmen wollen, und dann stand da dieser Wagen, voll ausgestattet, mit festem Vorzelt, zum Verkauf.

Und so sind wir nun noch öfter hier, als wir es, seit wir 2014 auf der Rückfahrt von Kopenhagen zum ersten Mal auf dem Priwall Urlaub machten, eh schon waren. Und damit ist der Bogen geschlagen, denn ich laufe gerade die Mecklenburger Landstraße zur Fähre, um wieder einmal nach Kopenhagen zu fahren, dort findet am Wochenende der Svajerlobet statt, die Neuauflage des vielleicht ältesten Lastenradrennens der Welt.

Hans - der Chef von's Ganze


Von Lübeck nimmt mich ein nur drei Wagen kurzer, dänischer Intercity mit auf die Fähre von Puttgarden nach Rodby. Dort aber endet die Zugfahrt, denn die Dänen bauen bereits fleißig ihre Bahnstrecke aus, um in einigen Jahren dann die Fahrzeiten zwischen Hamburg und Kopenhagen auf zwei Stunden und 30 Minuten zu verringern. Für mich gibt es stattdessen Schienenersatzverkehr, der Bus allerdings hat bis Kopenhagen keinen Zwischenhalt und so bin ich tatsächlich etwas früher als geplant am Hauptbahnhof der Dänischen Hauptstadt.

Dort nehme ich mir ein Leihrad von Donkey Republic. Die App habe ich bereits installiert, obwohl ich direkt vor einem Rad stehe, möchte die App, dass ich zu einem anderen Rad 80 Meter hinter mir gehe. Am Gepäckträger ein Werbebanner: mit dem Code “CPHPRIDE” kann man das Rad für sechs Stunden umsonst bekommen, das mache ich natürlich gerne. Und fahre ins Getümmel.

Dunkel in Kopenhagen, und die Reelights am Mietrad sind nicht wirklich hilfreich


Mein Ziel liegt im Norden von Kopenhagen, wo ich mir von Mette den Schlüssel zu einer Wohnung in Amager abholen will, in der ich für zwei Nächte mein Lager aufschlagen darf. Auf den Straßen der Stadt ist unheimlich viel los, denn es ist Pride. Es wehen Regenbogenfahnen und selbst, als ich mich schon recht weit vom Zentrum entfernt und Christiania hinter mir gelassen habe, sind immer noch viele, viele Menschen unterwegs.

Auf Fahrrädern, aber sehr viele auch auf E-Scootern. Fast immer zu zweit, und selten mit Beleuchtung. Auch mein Rad ist sehr spärlich illuminiert, dazu sind die Straßen recht dunkel. Trotzdem geht alles gut. Wenn der Autoverehr auf viele Radfahrende konditioniert ist und die Radwege akzeptabel (tatsächlich bin ich mittlerweile so “weit” draußen, dass es zwischenzeitlich sogar mal gar keinen Radweg gibt - IN KOPENHAGEN!!11!! einsElf!!!), dann funktioniert das Radfahren eben auch ohne Licht und angeschickert. Denn merke: Radfahren ist nicht gefährlich.

Mette schickt mir unterwegs eine Nachricht mit Koordinaten. Eigentlich weiß ich doch schon, wo ich hin muss, mein Handy steckt in einer Halterung, die mein Leihrad praktischerweise hat, und Google Maps leitet mich - nicht die beste Wahl offenbar, denn an einer Stelle muss ich an einer Gracht mein Rad eine Treppe hochtragen. Wäre ich mal meinem Instinkt gefolgt und am anderen Ufer der Gracht gefahren, aber nein, Google wollte es so.

In meiner Unterkunft steht ein Wooca von Coh&Co - ohne Pedale, leider :D


Mette schreibt weiter: ich hole den Schlüssel gar nicht in einer Wohnung ab, sondern auf einem Boot. Die Koordinaten beschreiben den genauen Liegeplatz. Na sowas, denke ich, sehe, dass ich schon fast da bin und pedaliere munter weiter. Ich verriegele mein Rad per Bluetooth und laufe die letzten 100 Meter über einen Steg. Mette entschuldigt sich, dass ich so einen langen Weg habe machen müssen, aber ich fand den Ausflug durch das nächtliche Kopenhagen wunderbar.

Mit Schlüssel mache ich mich auf den Weg zur Wohnung, wo ich mein Lager aufschlage, kurz den Handyakku durchlade und dann noch mal in die Innenstadt aufbreche, um mir ein wenig den Glitzer des Tivoli bei Nacht anzusehen. Ich bin zum dritten Mal in Kopenhagen, aber noch nie war ich hier Nachts unterwegs. Es hat vermutlich auch mit dem Kopenhagen Pride zu tun, dennoch kommt es mir vor, als hätte ich noch nie eine so belebte, wuselige Stadt in Europa gesehen. Zahlreiche Fahrradrikschas sind unterwegs und befördern Fahrgäste, die Menschen um mich herum sprechen eine Sprache, von der ich kein Wort verstehe, und es ist wahnsinnig voll - fast komme ich mir vor, wie in Phnom Penh. Nur die Temperatur stimmt nicht ganz.

Trübes Wetter - zum Glück bringt die Stadtarchitektur etwas Farbe ins Spiel


Am nächsten Morgen empfängt die Stadt mich mit dieser Art Regen, die man nicht bemerkt, wenn man die Hand raus hält, die einen aber trotzdem binnen 15 Minuten komplett nass macht und auch von unten in die Klamotten kriecht. Ich bin früh unterwegs, weil ich als Vater diesen Rhythmus einfach drin habe. Aber Kopenhagen scheint keine Stadt der Frühaufsteher zu sein. Abseits des Bahnhofs haben die meisten Cafés noch geschlossen, sie öffnen teils erst um 11:00 Uhr. Also gebe ich schließlich auf und setze mich mit ein paar Snacks vom 7-eleven im Hauptbahnhof auf eine Bank. Hier ist es wenigstens trocken, und auf Gleis habichvergessen kommt gleich Rasmus von Cargobikevlog in Begleitung der Ginkgo-Biker Martin und Thomas an.

Rasmus und ich nehmen die Metro zwei Stationen bis Sydhavn und laufen von dort weiter zum Boxland. Das Boxland ist eine kleine Siedlung aus alten Überseecontainern, teilweise in zwei Etagen übereinander aufgestellt. In einem Container ist eine Burger-Bude, daneben eine Bar. Gegenüber gibt es faire Mode und sowas wie einen Weltladen. Und noch viele weitere Läden. Zwischen den Containern feiner, weißer Sand. Wäre es nicht immernoch am Regnen, könnte es hier sehr schön sein.

Vorbereitungen


Viele Menschen sind damit beschäftigt, die Rennstrecke herzurichten. Sie fahren Absperrmaterial mit Bullitts kreuz und quer, und eigentlich müsste ich einige kennen, aber meine geheime Superkraft “Leute nicht wiedererkennen” arbeitet auf Hochtouren. Googelt “Prosopagnosie”, eine Eigenschaft, die mir solche Ereignisse immer ein wenig unangenehm macht, weil ich den peinlichen Moment fürchte, in dem ich eigentlich wissen müsste, wer da vor mir steht.

Bald ist die Strecke fertig und es wird klar: heute geht es auch durch den Sand. Nach dem Start wird eine lange Gerade mit Spitzkehre am Ende hin und zurück gefahren, dann geht es außen um das Boxland herum über Gras, eine weitere Spitzkehre führt dann über eine Rampe, an der noch geschraubt wird, durch ein Tor wieder ins Boxland hinein und zwischen den Geschäften vielleicht 50 Meter durch den Sand weiter zur Zielgeraden, wo nach der ersten Runde die Last, bestehend aus zwei Autoreifen und einem Sandsack, aufgenommen wird, um dann noch zwei Runden mit Ladung zu absolvieren. Entladen wird hier erst nach der Ziellinie.

Martin auf dem Ginkgo Bike


Erste Fahrerinnen (Männer mitgemeint) gehen auf die Strecke und drehen erste Testrunden. Es gibt einige Pfützen, immerhin gibt das effektvolle Fotos. Schnell wird klar: die Gras- und Sand-Abschnitte dieser Strecke sind eine besondere Herausforderung. Thomas von Ginkgo-Bike geht sogar so weit, dass er sich breite Mountainbikereifen besorgt und aufzieht - eigentlich hatten er und sein Bruder Martin die Räder extra für das Rennen mit dünnen Kojaks ausgerüstet.

Dann erklärt Benjamin, der die Rennen moderiert, nochmal das Reglement und schon startet das erste Heat der Herren. Gefahren wird hier ausschließlich ohne Motor, ganz sympatisch eigentlich, aber es sind auch genug Teilnehmer da, als dass man eine Elektro-Klasse aufmachen müsste, um mehr Starter zu haben. Zusätzlich gibt es noch ein kleines Klassement jeweils aus Dreirädern oder historischen Rädern.

Iris auf dem Velosled von Coh&Co


Mein Interesse gilt an diesem Tag besonders den beiden Ginkgo Bikes, dieses Rad sehe ich hier zum ersten Mal live, und Martin und Thomas treten sehr ambitioniert auf, sowie Team Last Leeze Laktat mit Sofia, Kirsten und Jens, die auf ihren Cargo Bike Monkeys und Bullitts im Rennen sind. Über 800 Fotos mache ich den Tag über, ich bin jetzt, wo ich diese Zeilen im Eurocity Richtung Eurobike tippe, noch nicht fertig damit, die Bilder durchzusehen und auszusortieren …

Und natürlich dem VeloSled “Anna”, denn Mette, in deren Wohnung ich meine Isomatte liegen habe, ist nicht irgendjemand: ihre Firma Coh&Co baut Fahrräder aus Holz oder in einem Stoneweave getauften Verfahren, bei dem ein Material zum Einsatz kommt, dass Carbon ähnelt, aber im wesentlichen aus Stein besteht. Mit dem Modell “Erik” bieten sie ein Fahrrad an, auf dass ich mich schon vor Monaten auf Instagram verliebt hatte - das hintere Ausfallende ist um zwei Streben beraubt, anstatt der üblichen vier Verbindungen wird das Hinterrad hier nur von unten rechts und oben links gehalten. Coh&Co schicken ihr Lastenrad, dass auf der Cyclingworld in Düsseldorf einen Preis gewann, mit der niederländischen, ehemaligen Radrennfahrerinn Iris Slappendel ins Rennen.

Alle meine “Favoriten” überstehen ihre Heats, die Ginkgo-Bike und die Last Leeze Laktat Damen erreichen sogar die Finalläufe. Zuvor gibt es aber noch das Rennen der Dreiräder, das zum vierten Mal in Folge von Morten, dem Chef von Butchers & Bicycles, auf seinem gewichtsoptimierten Rad gewonnen wird. Außer ihm ist ein weiteres Butchers (Platz 2) sowie ein Umbau auf Nihola Basis sowie ein weiteres Dreirad im Rennen. Man könnte sagen, er fährt außer Konkurrenz. Es gibt ja noch weitere Dreiräder mit Neigetechnik, die müssen wohl nächstes Jahr mal einen Ausflug nach Kopenhagen machen.

Kirsten auf Krümel, unterwegs für das Team Last Leeze Laktat


Nach dem Lauf der historischen Lastenräder, teils ohne Gangschaltung und mit diesen Bremsen, die noch von oben auf den Mantel des Rades drücken, starten die Damen in ihr Finale. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht weiß: die spätere Siegerin ist professionelle Radrennfahrerin. Das wertet Platz 2 für Sofia und Platz 3 für Kirsten gleich noch mal auf. Zwei Mal auf’s Treppchen für Last Leeze Laktat, und bei den Herren beweisen Martin und Thomas, dass ihr Singletrail-Training sich ausgezahlt hat: Thomas fährt sein Ginkgo-Bike auf den ersten Platz, Martin wird Dritter, mit ihnen darf ein Fahrer aus dem Team der Fahrradkuriere von By-Expressen auf dem Podium stehen - gerne schriebe ich hier seinen Namen, wüsste ich ihn.

Anschließend gibt es noch einen Staffellauf, hier macht das Team Bullitt Hangover den ersten Platz und damit wiederum Michelle Lauge Quaade, die Radrennfahrerin, die den ersten Platz bei den Damen eroberte, sowie Hans Vogh, seines Zeichens Erfinder des Bullitt und Organisator und Ausrichter der Veranstaltung.

Sofia unterwegs auf dem Schokolader - Team Last Leeze Laktat


Nach dem gemeinsamen Aufräumen trifft man sich zur Party im Boxland. Neben der Pommesbude gibt es einige Bierbänke unter Pavillons, was gut ist, denn obwohl das Wetter tagsüber zum Glück die angekündigten 100 Prozent Regenwahrscheinlichkeit phasenweise ignoriert hat, gibt es nun doch wieder etwas Regen. Doch nicht nur der Regen, auch das Bier fließt, und später packt irgendwer eine Flasche Becherovka aus, die nach Weihnachten schmeckt. Ich soll auch einen trinken, aber Hochprozentiges war noch nie so meins.

Es wird ein sehr schöner Abschluss eines tollen Renntages, und wie so oft, wenn ich in Fahrrad-Dingen unterwegs bin, wird mal wieder klar: es sind die Menschen, mit denen es hier so viel Spaß macht. Die Fahrrad Community ist einfach toll, anders kann ich das nicht sagen.

Auf geht's zum Finale der Herren


Später in der Nacht fahren wir nochmal eine Art Staffel. Wir liefern Kirsten in ihrem Hotel ab, von dort fahren Sofia, Jens und Stefan weiter zum Campingplatz und ich hole mir wieder ein Donkey Bike und fahre nach Hause. Lange ist die Stadt ruhig, dann platze ich plötzlich in eine völlig überfüllte Party-Meile, dann ist die Stadt wieder ruhig. Keine Ahnung, welches Szene-Viertel ich da versehentlich durchquert habe.

Am Sonntag um 12:00 Uhr trifft man sich zum Social Ride, doch ich bin wieder deutlich früher auf den Beinen. Ich laufe von meiner Wohnung in Amager den Hafen entlang und entschließe mich, eine Runde im Hafenbecken schwimmen zu gehen. Es gibt einen abgesperrten Bereich extra zum Schwimmen, und da es eh gerade zu nieseln beginnt, ist mir eigentlich egal, auf welche Art und Weise ich nass werde. Ich habe allerdings keine Badehose - egal, schnell rein. Allerdings ist das Wasser sehr klar. Besser Brust schwimmen, sonst sieht noch einer was.

Vorsicht, dicker Mann im Hafenbecken!


Der Social Ride startet vom WakeUp Hostel und führt uns über die Cykelslangen nach Süden aus der Stadt heraus, an der Küste entlang, bis wir den kleinen Ort Dragor erreichen, wo man zum Essen einkehrt. Ich hole mir ein großes, dänisches Softeis und bewundere noch kurz den Flohmarktstand eines kleinen Mädchens, sie ist vielleicht acht Jahre alt. Wie überall in Dänemark kann man auch bei ihr mit “Mobilepay” bezahlen, einem System, bei dem man sich das Geld wie SMS zusendet. Deutschland ist in digitalen Dingen so rückständig.

Ich bin wieder auf einem Donkey Bike unterwegs und verabschiede mich nun, während die anderen noch Fisch oder Pommes essen, um mein “Bedürfnis, deutlich vor der Zeit am Hauptbahnhof zu sein” zu befriedigen. Ich radele weiter bis zum Flughafen, stelle das Rad ab und nehme die Metro nach Norreport. So komme ich auch endlich mal dazu, die Fahrerlose Metro zu erleben. Auf den besten Sitzen direkt hinter der Frontscheibe sitzen leider schon Leute, aber auch Kinder, und es sind Bedienelemente aufgemalt, so dass sich die Kinder richtig wie Lokführer fühlen können.

Ich so: Selfie auf dem Social Ride


Vom Norreport noch kurz in die S-Bahn zum Hauptbahnhof, wo ich nun tatsächlich noch eine Stunde bis zur Abfahrt meines Busses habe, in der ich mich wieder mal bei 7-eleven mit Proviant versorge um mich anschließend bestätigt zu sehen: mein Bus ist bereits 15 Minuten vor Abfahrt bis auf den letzen Platz gefüllt und fährt folgerichtig ab - worauf soll ein voller Bus noch warten?

Der Rest der Fahrt verläuft planmäßig. Ich verprasse meine letzten dänischen Kronen auf der Fähre, ich hätte gar kein Bargeld gebraucht. Irgendjemand hatte gesagt, für das Bier auf der Svajerlob After Party bräuchte ich vielleicht doch Bares, aber die Getränke gingen auf’s Haus und das Essen konnte man selbstverständlich bargeldlos bezahlen. Tatsächlich ging es mit dem Handy und Google Pay am besten, da kam dann sogar nach wenigen Sekunden eine Mail mit dem gerade gezahlten Betrag in Euro.

Bis zum nächsten Mal!


Bleibt mir zum Schluss noch Danke zu sagen. Danke an Mette für ihre Gastfreundschaft. Danke an alle, die geholfen haben, das tolle Rennen zu organisieren. Danke an meine Frau, die mir das Wochenende frei gegeben hat! (Und falls das nötig ist: auch wenn hier Markennamen gefallen sind, dieser Bericht enthält keine bezahlte oder unbezahlte Werbung oder Sponsoring.)

Ich hätte mitfahren sollen, und wenn ich im ersten Heat ausgeschieden wäre, egal. Dabei sein ist alles. Im nächsten Jahr vielleicht! Fahrt zum Svajerlobet!