Montag, 5. März 2012

Gazelle Cabby - Dreijahrestest

Vorhin bin ich im Netz über einen Test des Gazelle Cabby gestolpert. Ich habe ihn nur überflogen, aber was mir schnell auffiel war: wenn jemand was zum Gazelle Cabby sagen kann, dann wohl ich. Schließlich fahre ich das Lastenrad seit über drei Jahren.

Das Gazelle Cabby ist ein Lastenrad vom Typ Long John, das heißt, es hat zwei Räder wie ein normales Fahrrad, nur ist das Vorderrad kleiner und nach vorn versetzt, zwischen Lenksäule und Vorderrad befindet sich eine tiefliegende Ladefläche, die je nach Nutzungsart verschieden gestaltet sein kann, in unserem Fall mit einer Box mit Sitzbank für den Kindertransport.

Ich habe mal ein Gerücht gehört, nachdem der niederländische Kronprinz Willem-Alexander seine Kinder in einer Bakfiets spazieren fuhr und damit deren Siegeszug – also den der Bakfiets, nicht seiner Kinder – in den Niederlanden einläutete. Das kann ich nicht überprüfen, verbreite es aber selbst gern weiter. Zumal es im Web tatsächlich Fotos des Prinzen auf einer Bakfiets gibt.

Das Cabby fährt sich hervorragend. Trotz des hohen Leergewichts von rund 38 Kilo macht es mir deutlich mehr Spaß, damit zu fahren, als mit meinem Kettler City-Bike. Das Cabby bietet den gewohnten Hollandrad-Komfort und die 7-Gang-Nabenschaltung ist sicher auch nicht fehl am Platz. 

An die nach vorn versetzte Lenkung hat man sich schnell gewöhnt. Sogar noch schneller, als ihr jetzt denkt. Über die Jahre haben mehrfach Passanten im Park oder sonstwo unterwegs gefragt, ob sie mal aufsteigen dürften, meist ungläubig, dass man mit dem Cabby überhaupt fahren könne, aber keiner von ihnen ist umgefallen.

Die Lenkbewegung wird durch eine Stange unterhalb der Transportkiste vom Lenker auf das Vorderrad übertragen. Die Stange schwingt dabei frei auf zwei Kugelkopfgelenken, was zu einem kleinen Problem führt: bei starken Lenkbewegungen schlenkert die Stange so stark, dass sie an den Rahmen stößt. An dieser Kontaktstelle kommt es schnell zu Lackschäden und in der Folge zu Rost. Allerdings ein oberflächliches Problem. Ich habe es gelöst, indem ich die entsprechende Stelle an der Lenkstange dick mit Gaffa-Tape umwickelt habe, um die Stöße abzufedern.

Bei der Transportkiste erntet das Cabby von mir ein dickes Plus, da diese mit ein paar netten Gimmicks aufwartet. Sie kann mit ein paar Handgriffen zusammengeklappt werden – so könnte man das Cabby auch durch eine enge Gartenpforte zum Parken schieben. Freilich sollten die Fahrgäste vorher ausgestiegen sein.

Darüber hinaus kann man die Kiste auch ganz abnehmen, dazu löst man einfach einen Schnellspanner an der Lenksäule und zieht die Box zu sich heran, so dass die Verbindung vom Rahmen, wo sie mit zwei Bolzen einrastet, gelöst wird. Zum Diebstahlschutz ist der Schnellspanner mit einem niedlichen Vorhängeschloss gesichert, welches von der Größe her eher an ein Poesie-Album passt und das bei mir ziemlich schnell verrostet war. Ich rechne allerdings auch nicht damit, dass jemand auch die Idee kommt, die Kiste zu klauen. Wer das Rad nicht kennt weiß eh nicht, dass die Box abnehmbar ist.

Die Kiste besteht aus einem Stahlrohrrahmen, der mit LKW-Plane bespannt ist. Das vermeidet ein paar unnötige Kilos gegenüber der Konkurrenz mit MDF-Platten und ist sicher schöner, als eine Plastikbox.

Für die Fahrt bei schlechtem Wetter gibt es ein optionales Regenzelt, das über zwei Zeltstangen, die an den Seiten der Box eingesteckt werden, gespannt ist. An den Zeltstangen sorgen im Auslieferungszustand kleine Stifte dafür, dass diese nicht tiefer als nötig in die Verankerung rutschen. Diese Stifte waren schon nach kurzer Zeit durchgescheuert, nach den Reaktionen auf einen Blogeintrag zu diesem Thema muss ich annehmen, dass das bei sämtlichen Cabbies der Fall ist und damit ein Konstruktionsfehler. Ich weiß nicht, ob bei den neueren Modellen das Problem gelöst ist, ich habe mir Abhilfe geschaffen, indem ich Schlauchschellen um die Stangen gesetzt habe und so das durchrutschen verhindere.

Das Dach selbst kommt in zwei Varianten, wobei eins von beiden eine Auswuchtung hat, damit ein in hoher Position montierter Maxi Cosi darunter Platz findet. Die Verarbeitung ist gut und das Dach hält dicht. Nach drei Jahren, in denen das Dach zwischen Herbst und Frühling im Dauereinsatz und das Rad durchweg draußen war, ist es immer noch gut in Schuss.

Der Frost hat dem Dach zuletzt allerdings arg zugesetzt, die durchsichtige Folie wird bei niedrigen Temperaturen schnell hart und ist tatsächlich an einer Stelle brüchig geworden. Ich würde allerdings sagen, dass diese Abnutzung nach drei Jahren draußen stehen bei Wind und Wetter hinnehmbar ist. 

Auf der Bank ist Platz für zwei Kinder, zum Anschnallen gibt es drei Paar Y-Gurte. Man kriegt zwar auch drei (zierliche) Kinder nebeneinander auf die Bank gequetscht, aber der dritte Gurt ist in Wirklichkeit dazu da, dass ein Kind alleine mittig angeschnallt werden kann. Meine Freundin legt Wert darauf, weil sie dann leichter fahren kann, ich selbst habe noch keinen Nachteil durch einseitige Beladung bemerken können. Vermutlich begünstigt das aber auch mein stabilisierendes Eigengewicht. *Ähem*

Im Rahmen der Box sind zwei Positionen vorgesehen, an denen eine optional erhältliche Maxi Cosi Halterung montiert werden kann. Die Montage ist etwas knifflig, aber sobald vollzogen außerordentlich praktisch. Bei der tiefen Montage hängt die Babyschale knapp über dem Boden der Transportbox, bei der hohen Montage etwas weiter zum Vorderrad und höher. Wir haben diese Position gewählt, weil so zusätzlich noch Einkäufe unter den Maxi Cosi passen. Die Babyschale selbst wird mit der gleichen Verbindung aufgesteckt, mit der sie auch auf den dazugehörigen Kinderwagen befestigt wird. Beim ersten mal ist auch das ein wenig umständlich, aber mit der Zeit wird der Mechanismus leichtgängiger und die Schale kann im Handumdrehen aufgesteckt werden. Ganz großes Plus hier: die Aufhängung ist beidseitig gefedert.

Über die Gangschaltung des Cabby braucht man nicht viele Worte zu verlieren, da ja heute sowieso fast ausschließlich Shimano Schaltungen verbaut werden, hat man das Gefühl. Sieben Gänge machen definitiv Sinn. Durchdacht ist auch, dass es keine Rücktrittbremse gibt. Das erlaubt es uns nämlich, das parkende Cabby durch Zurechtdrehen der Pedale und beherztes vorwärtstreten von seinem wuchtigen Ständer zu befreien. Gerade bei voller Beladung ist diese Hilfe gern gesehen. Um das beladene Rad auf den Ständer zu ziehen bedarf es dann allerdings ein wenig Kraft. Sobald es steht, steht es stabil.

Statt der Rücktrittbremse gibt es vorn und hinten Rollerbrakes. Die sind zwar unabhängig von jeglicher Witterung und nahezu wartungsfrei, sorgen allerdings auch für einen langen Bremsweg. Ich musste einmal direkt hinter einem Long Harry von Pedalpower bremsen, das mit Scheibenbremsen ausgestattet ist, da wurde der Unterschied extrem deutlich. Voll beladen gehen besser auch mal die Füße auf den Boden, um schnell in den Stand zu kommen. Das könnte und müsste besser sein.

Die Bereifung ab Werk war etwas seltsam mit besonders niedrigem Rollwiderstand. Theoretisch könnte das auf Kosten des Grip gehen, mir ist diesbezüglich aber noch nichts passiert. Nach etwa zwei Jahren waren die Wände des hinteren Mantels durch und der Mantel wurde komplett erneuert. Bei Glättegefahr ist das Cabby, wie jedes andere Zweirad, unter Umständen nicht mehr das richtige Gefährt.

Bei einem angeschnallten Sturz kommt das Kind in der Transportkiste zwar mit dem Schrecken davon, wünschenswert ist das aber natürlich nicht. Gazelle-typisch betreibt der Nabendynamo am Vorderrad nur das Vorderlicht, das Rücklicht läuft mit Batterie. Eigentlich bekäme sowas in Deutschland keine Straßenzulassung, aber es scheint den entsprechenden Behörden dann doch nicht so wichtig zu sein. Im Herbst war das Rücklicht mal durch eingetretenes Wasser kurzgeschlossen und über mehrere Tage ununterbrochen an. Das hat immerhin die vernünftige Laufzeit der Batterie bestätigt.

In den drei Jahren ist das Cabby unser täglicher Begleiter geworden und hat das Auto im Stadtverkehr mühelos ersetzt. Zeitweise sind wir sogar mit Croozer-Anhänger am Cabby gefahren, um die mögliche Zuladung ins unendliche zu steigern. Weihnachtsbäume, Balkonbegrünung inklusive der Blumenerde für acht Kästen, ganze Flohmarktstände, Picknicktisch und vier Klappstühle, nichts, was wir noch nicht transportiert hätten. Die Kinder finden die Fahrt in der – im sommer idealerweise offenen – Transportkiste großartig.

Immer wieder gerne veranstaltet wurden Rundfahrten im Park für die Freunde unseres Sohnes. Im Gegegsatz zum Anhänger reißt die Kommunikation mit den Kindern auch während der Fahrt nicht ab. Wenn der Nachwuchs allerdings anfängt, alles, was an Gepäck neben ihm in der Kiste lagert, während der Fahrt zum fahrenden Elternteil nach oben durchzureichen, empfiehlt sich noch ein Fahrradkorb, damit man die ganzen Geschenke hinter sich verstauen kann .

Soweit zum Cabby. Habe ich alle wichtigen Aspekte beleuchtet? Wenn nicht, stellt gern eure Fragen in den Kommentaren.

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