Donnerstag, 6. Mai 2021

Lastenrad im Fernsehen - die ganze Wahrheit [Update]

Irgendwann jetzt im Mai soll ein Beitrag zum Thema Lastenrad in der WDR Servicezeit laufen. Ich hab' jetzt schon öfter mein Gesicht zum Thema in die Kamera gehalten, aber der von den Farbfilmfreunden für den WDR produzierte Beitrag verspricht, etwas "Besonderes" zu werden (noch hab' ich ihn nicht gesehen), und daher wollte ich hier gern mal erzählen, wie das so läuft mit dem Fernsehen.

Sendetermin: Dienstag, 11.05.2021 um 18:15 Uhr

Am einfachsten sind Beiträge für die Nachrichten. Die Lokalzeit Münsterland hat mich irgendwo auf der Liste, und immer, wenn vom ADFC oder den richtig coolen Leuten (Joko von Josbach zum Beispiel, oh Boy, eine Legende der Mann, ich würde ihn gern mal in echt kennen lernen) keiner Zeit hat, klingelt irgendwann bei mir das Telefon: "Wir brauchen für die Sendung heute Abend noch einen O-Ton, können wir uns treffen?"

Und dann trifft man sich, beantwortet ein paar Fragen und vielleicht werden noch ein paar schöne Bilder vom fahrenden Lastenrad gemacht, und je nachdem was die Redakteurin entscheidet, landet das dann in der Sendung, und das war bislang eigentlich immer gut. Manchmal ist der Text in der Bauchbinde lustig, aber auch das ist eher Anlass zur Freude.

Dann gibt's Beiträge, die etwas länger vorbereitet werden. Wo eine Geschichte erzählt werden soll. Das hab' ich bislang auch ein paar Mal mit dem Landesstudio Münster gemacht, und auch das war immer sehr zufriedenstellend.

Das Ding ist: bei solchen Beiträgen wird die Realität gerne mal ein bisschen gedehnt. Im Vorfeld einigt man sich auf ein Thema, man will zum Beispiel erzählen, wie man immer die Kinder mit dem Lastenrad in die Kita bringt und danach einkaufen fährt, und dann ist Drehtag und die Kita hat zu und Einkaufen muss man auch gerade gar nicht.

Dann filmt man das halt trotzdem und erzählt unter Umständen ein paar Sachen, die in dem Moment gar nicht wahr sind, aber es ist halt für die Botschaft, die transportiert werden soll, richtig und wichtig. Und was immer wir in solchen Beiträgen erzählt haben, es war nie wirklich "gelogen" oder so nicht nie vorgekommen, es war vielleicht in dem Moment gerade anders, aber die Redakteurinnen haben dann ihren Beitrag geplant, und dann bekommt man das schon passend hin. Schließlich fährt man für 30 Sekunden Film ja auch zwei Stunden die gleiche Straße auf und ab, so läuft das nun mal.

Der Beitrag, der jetzt in der Servicezeit laufen wird, war aber anders. Klar, die Servicezeit ist ein Magazin, der Nachrichtencharakter tritt eindeutig in den Hintergrund, hier bezieht man sich vielleicht auf eine Meldung - in unserem Fall war der Stein des Anstoßes eigentlich mal ein DEKRA Test, in dem ein Kleinkind Dummy bei Vollbremsung aus einem Riese + Müller Packster fiel, aber davon ist am Ende nicht mehr viel übrig geblieben. Aber im großen und ganzen wird halt eher eine Geschichte erzählt.

Das hab' ich übrigens auch schon mal gemacht, die Fahrradtour im Münsterland, mit meinem Vater und meinen Kindern als "Dreigenerationentour" vermarktet, aber der Dreh war herrlich, der Redakteur hat sich um alles gekümmert und die Kinder und uns mit Brötchen und Essen beworfen, wo immer es ging.

Beim Servicezeit-Dreh war die Vorlaufzeit länger, und nochmal länger, weil schlechtes Wetter, Quarantänen und Corona im allgemeinen im Weg standen, aber irgendwann neulich im April war es dann so weit, und das negativ getestete Film-Team stand, brav mit FFP2 bekleidet, bei mir vor der Tür.

Als erstes haben wir O-Töne gefilmt. Ich wurde aufgestellt und mein Triobike sehr genau im Hintergrund arrangiert. Mein #POII7FI Sticker wurde kritisch begutachtet: das Publikum des WDR soll bloß nicht denken, ich wäre von der Polizei. Aber im Hintergrund sieht man ihn auch gar nicht, verkündet der Kameramann, also wird erstmal nichts unternommen.

Bei den Fragen dann greift die Redakteurin peinlich genau in meine Antworten ein. Klar, im Grunde orientieren wir uns an den Vorgesprächen, die wir über Wochen telefonisch und im Chat geführt haben, aber wie hier in meine Formulierungen gegrätscht wird, ist schon besonders. Bis hin zu "betone doch bitte nochmal, dass du die Kinder anschnallst", und ich sagen muss: "Aber der Punkt der ganzen Aktion ist doch, dass _ich_ meine Kinder im Lastenrad eben nicht anschnalle" - was auch in den Vorgespräche immer und immer wieder Thema war, aber das "kann man nicht sagen", weil sonst der Zuschauer Puls bekommt, und hey, es tut ja niemandem weh, wenn ich rate "Schnallt eure Kinder im Lastenrad an", aber das bin dann schon wirklich nicht mehr ich, eigentlich, und wenn ich nicht so geil darauf wäre, Lastenräder in die Prime Time zu kicken, müsste ich an dieser Stelle eigentlich schon abbrechen.

Ich hatte übrigens keinen Bock, das an Ort und Stelle mit der Redakteurin auszudiskutieren, meine Ausrede wäre: Dreh mit Kindern, ich wollte es nicht unnötig in die Länge ziehen. Falls die Betreffende das hier jetzt liest... äh, ja nun, ne? No hard feelings.

Danach drehen wir eine Szene, wo ich die Unterschiede zwischen meinem Triobike und dem Bakfiets Cruiser meiner Frau erkläre. Aber auch hier wird es echt anstrengend. Ich darf die Marken der Fahrräder nicht nennen, der #POII7FI Aufkleber ist jetzt doch komplett im Bild und muss abgedeckt werden, und ich soll doch bitte am Ende meiner Ausführungen noch erwähnen, dass man aber auf jeden Fall eine Scheibenbremse haben soll. Klar, Scheibenbremse ist 'ne gute Sache am Lastenrad, aber so, wie ich das in dem Beitrag sage, würde ich es sonst nie sagen. Man kriegt ein Lastenrad im flachen Münsterland auch mit Felgen- oder Rollenbremsen in den Stand, isso.

Besonders lustig: es soll auch erwähnt werden, dass ich Lastenrad-Blogger bin. Dazu soll ich am Laptop sitzen und einen Beitrag schreiben. Schon, dass ich am iPad sitze, irritiert das Team sehr. Und dann schreibe ich "Lastenrad-Propaganda" in die Titelzeile, aber das geht nicht, sagen sie. Ich habe aber trotzdem versucht, möglichst viele subtile Witze in den Beitrag zu tippen, und falls man den im Fernsehen sieht, lohnt sich auf jeden Fall ein Screenshot!

Als nächstes: Familienaufstellung. Ich kenne das aus der Sendung mit der Maus, wenn auf einem leeren Bild nacheinander die Personen nebeneinander aufpoppen, so wollen wir es jetzt auch drehen, und danach kommen die Helme auf die Köpfe. Auch hier: ich setze meinen Kindern im Alltag im Lastenrad keinen Helm auf, ich finde das nicht unverantwortlich, die wirklichen Gefahren lauern woanders, aber Herrgott, es tut halt keinem weh, und tatsächlich wird auch eine Dashcam-Aufnahme von einem Sturz meinerseits wohl Teil des Beitrags werden, und da trägt der Fahrgast Nico tatsächlich einen Helm, wahrscheinlich, weil meine Frau ihm den beim Rausgehen aufgesetzt hat, ich hätte es vermutlich nicht getan. Er fällt beim Sturz nicht auf den Kopf, soviel dazu.

Aber: auch ich soll einen Helm aufsetzen. Ich bin einigermaßen überrascht. Die bisherigen Eingriffe in den Content waren - ich sag mal unangenehm, aber zumindest nicht grob verfälschend. Aber dass ich selbst keinen Helm beim Alltagsradeln trage, das ist gesetzt, das war in den Vorgesprächen klar, aber jetzt muss es sein.

Ich sage, ich habe gar keinen Helm. (Er liegt zwei Meter hinter mir im Flur, ich trage ihn ja beim Rennradfahren ... auch hier ein nettes "Upsi" ans Filmteam). Aber es muss unbedingt sein, sagt die Redakteurin, ob ich nicht einen Helm besorgen könnte, vielleicht von einem Nachbarn? Die müssten doch einen haben. Ich sage ihr, dass in Münster eher wenig Helm getragen wird beim Radfahren, probiere es aber trotzdem als Alibi bei meiner Nachbarin. Sie hat keinen. Also wirklich keinen, nur für die Kinder, aber keinen für Erwachsene.

Vielleicht geben sie dann klein bei, denke ich, aber dann wird beschlossen, dass der Ton-Mann jetzt losgeschickt wird, einen Helm für mich zu besorgen, und ja "huch" da fällt mir plötzlich ein, dass ich doch noch einen haben könnte - praktischerweise ist der Helm ordentlich verstaubt und macht meine Geschichte so glaubwürdig - und um die ganze Sache, wir drehen halt immer noch mit Kindern, nicht unnötig in die Länge zu ziehen, habe ich plötzlich einen Helm, und zum großen Glück eine erst am Vortag von Traix geschenkte Cap mit Carla Cargo Aufdruck. Machen wir aus der Not eine Tugend und bringen wenigstens noch ein bisschen Schleichwerbung ins Fernsehen, zusätzlich zum gelben Cargo Bike Monkey Pulli, den ich natürlich trage.

Also fahre ich mit Helm durch die Straßen meines Viertels, und sogar eine Drohne wird ausgepackt, um wahnsinnig cineastische Bilder zu drehen, und dann sind wir nach viereinhalb Stunden auch mal fertig und ich mache den hungrigen Kindern was zu Essen und kündige an, das Eis, dass die Redakteurin versprochen hat, dass "Papa ihnen bestimmt nacher kauft", auch wirklich zu besorgen.

Ich bin also wirklich gespannt auf diesen Beitrag und hab' ein bisschen Angst. Es könnte peinlich werden für mich, aber jetzt wisst ihr wenigstens, warum. Ich hoffe, es entstehen keine Memes aus dem Beitrag, dafür ist weiterhin ausschließlich @allwetterradeln zuständig.

P.S:

Jetzt ist der Beitrag gelaufen und meine erste Replik findet ihr im Video. Bezogen auf diesen Blogeintrag fällt aber auch noch einmal auf, wie viel wir gedreht haben, was gar nicht in den Beitrag gekommen ist. Die "Familienaufstellung" ist raus. Dass ich Blogger bin ist raus. Drohnenaufnahmen sind raus. Und die anderen, die am Tag nach mir in Münster die Schillerstraßen-Brücke rauf und runter fahren durften, kommen überhaupt nicht vor. Frage: wie schlecht wurde der Beitrag eigentlich geplant, dass man so viel Ausschuss filmt?

P.P.S.

Knapp eine Woche später hat der WDR den Beitrag in der Mediathek angepasst. Am Ende sind die Bilder, wie ich Nico anschnalle, raus, dafür sieht man Bilder eines anderen Kindes, das angeschnallt wird, und der Text ist verändert, offenbar war aber der original Sprecher nicht verfügbar, so dass der gesamte Beitrag einen neuen Sprecher hat.

Ein guter Beitrag wird es dadurch immer noch nicht, aber immerhin ist die Lüge nicht mehr drin.